SIEDLUNGSTELEFON Einst,vor vielen, vielen Jahren die Siedlung g'rade fertig war, war man sich noch nicht im Klaren, was tun bei Krankheit und Gefahr? Zu Fuß war's in die Stadt zu weit und Autos waren Seltenheit; so kam dann in die Satzung 'rein: EinSiedlungs-Telefonmuß sein! Herr Krudewig vom Siedlungs-Vorstand auch sofort 'nen Standort fand: Der Anschluß könnt' ja in mein Haus! Das stellte sich als schwierig raus. DieGattin war nicht angetan, denn ihr war klar: Sie müßte ran Das schwarze Ding kommt nicht ins Haus, sonst zieh' ich mit den Kindern aus. Der Heinrich dann in seiner Not der Nachbarin den Anschluß bot. Diewußte um die Arbeit schon, doch gab's auch Spaß ums Telefon. Was einst für' n Notfall war gedacht geriet zum Renner über Nacht. Das schwarze Ding auf jeden Fall, es klingelte von überall. Es klingelte von nah und fern. Die Kinder hörten dies nicht gern, denn diese hatten nichts zu lachen, sie mußten lange Beine machen. Das Telefon,es war gefragt; es wurde mancher Flirt gewagt. Zu später Stund' zum Anruf kam die Braut und auch der Bräutigam. 49 Oft war's auch ungeniert und laut und mancher fuhr auch aus der Haut. Der Apparat, er schluckte vieles des guten und des schlechten Stiles. Ob regelmäßig oder mäßig, der Apparat war sehr gefräßig. Der Hörer blieb nicht lange liegen, denn jeder wollte Anschluß kriegen. Nicht alles war für alle Ohren und mancher Witz ging auch verloren, doch mancher Vorfall blieb erhalten in der Erinnerung der Alten: Ein junger Mann, g'rad Abitur führt ein Gespräch im Orte nur und fragt, für die zwei Groschen dann, ob er 'ne Quittung haben kann. Die Frau mit Telefonwar platt. Doch dann behauptete sie glatt, sie könnt' nicht lesen oder schreiben; so muß die Quittung unterbleiben. Der Junge ging nach Haus' beklemmt. Solch' Bildungslückewar ihm fremd. Analphabet in unser'm Land das war ihm bisher unbekannt. Doch dann auch noch mit Telefon, das war für ihn schlichtweg ein Hohn. Inzwischen ist er abgeklärt und weiß, was solch Geschichte lehrt. Marlies Lüke
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